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Anselm Wagner

 

TonHöhe

 

Eine Installation von Bernhard Leitner in der Kollegienkirche
 

 

Seit den späten 60er Jahren arbeitet Bernhard Leitner im Grenzbereich von Architektur, Plastik und Musik. Anders als ein Musiker, der Klänge in den Raum stellt, läßt Leitner den Raum erst durch Töne erzeugen; das Tonmaterial besitzt sozusagen plastisch-architektonische Qualität. Leitner macht nicht-musikalisch konzipierte Klangaufnahmen, welche durch computergestützte Klanggestaltung zum werkspezifischen Tonmaterial geformt werden. Töne bewegen sich durch den Raum, schwingen hin und her, steigen auf und sinken nieder, ganz so, wie der Blick Räume abtastet und sich dadurch aneignet. Die Idee einer die starren Grenzen des statischen" Bauwerks" auflösenden, dynamischen Architektur ist zwar eine spezifisch moderne Utopie, die durch die Dekonstruktivisten und die virtuellen Räume des Cyberspace wieder eine Aktualisierung erfahren hat, aber sie ist nicht vollständig neu. Bereits im Barock macht man die Entdeckung, "daß der Raum nicht die Architektur umgibt, sondern durch sie geschaffen wird" (1), daß Räume ein bewegliches, plastisches Material darstellen, Übergang und Auflösung ebenso architektonische Kategorien sein können wie Statik und Dauer.

 

Durch Strategien wie die gegenseitige Durchdringung, Streckung und Stauchung von Raumkörpern, das Auflösen tektonischer Grenzen durch übergreifenden Dekor, durch gebrochene Formen oder illusionistische Wandmalerei wird der Raum prozeßhaft und die Architektur als sich ausdehnender oder zusammenziehender Organismus erlebt. Fischer von Erlachs Salzburger Kollegienkirche führt einige dieser Prinzipien in besonders kompakter Weise vor (2) Vom ursprünglichen Typus her eine Kreuzkuppelkirche, ist ihr Grundriß so in die Länge gezogen, daß die Kapellen in den Ecken der Kreuzarme zu Ovalen gepreßt werden. Dadurch entsteht eine spannungsvolle Durchdringung von Zentralbau und Langbau, Zustand und Bewegung.

 

Weniger deutlich sichtbar ist die enorme Dehnung des Raumes in der Vertikalen. Vom Boden aus nimmt man kaum wahr, daß Tambour und Kuppel noch einmal so hoch sind wie die Langhauswand und mit ihrem Aufbau  (3) die Kirche quasi verdoppeln. Dieser ungewöhnlich steile und schlanke Raum ist nur im Querschnitt zu erkennen und vom Boden aus optisch nicht zu ermessen. Zur Betonung dieser senkrechten Achse befindet sich am Boden unter der Kuppel ein Marmormosaik, das - auch hier eine Echoform - wie eine Projektion der Kuppelwölbung auf die Fläche wirkt. Im Schnittfeld von Längs- und Querschiff wird das Schachbrett des Bodenmusters zu einem Kreis verzerrt, der in seinem Umfang der Kuppel entspricht. Die konzentrisch verlegten Routen münden in eine helle runde Platte in der Mitte, die exakt das Äquivalent zur durchlichteten Kuppellaterne bildet. Dadurch entsteht eine imaginäre Achse zwischen Boden und Kuppel, die an die alte Vorstellung anknüpft, daß sich der sakrale Ort im Zentrum der Welt befinde. Dieser ist Nabel der Erde, wie der Omphalos von Delphi, und erschafft den Kosmos durch die Verbindung zum Himmel, ausgedrückt in der Weltensäule (4).

 

Bernhard Leitners "TonHöhe" will diese imaginäre Achse und damit die unsichtbare Höhenerstreckung des Kuppelraumes erfahrbar machen. Den Raum zwischen Boden und Kuppellaterne begreift Leitner als doppelpolige Einheit, die er in einen auf- und absteigenden Klangraum übersetzt. Die technische Grundlage dafür besteht aus zwei Lautsprechern in der Kuppelschale und einer mit einer weiteren Klangquelle ausgestatteten großen Metalltrommel am Boden über dem innersten Kreis des Mosaiks. Eine steuerungstechnisch bearbeitete Gruppe von Klangfolgen läßt den Ton zwischen Kuppel und Boden pendeln, wodurch der Raum dazwischen plastische Kontur gewinnt. Der Klang kann unten kurz "abheben", um sich im Kuppelraum zu vollem Volumen zu entfalten, er kann aber auch gleichzeitig unten und oben zu hören sein und so akustische Stereometrie bilden. Der sich in der Ferne der Kuppel ausbreitende Klang vermittelt das Bewußtsein eines zwar sichtbaren, aber nicht zu ermessenden Raumes.

 

Mit der Fähigkeit, den gebauten Raum zu transzendieren, verstärkt der akustische Raum das in Fischers Architektur angelegte Gefühl des Erhabenen, jener im 18. Jahrhundert in die Ästhetik eingeführten Kategorie, die um die Erfahrung der Grenzenlosigkeit kreist. Die Pendelbewegung verankert aber den Klangraum auch im jeweiligen Rezipienten, der - besonders wenn er auf dem Resonanzboden des Rundmosaiks steht, das die Ausbreitung der Schallwellen optisch suggeriert - sich als ein Teil der Klangsäule fühlt. Wie in Leitners Fotografie von der Kuppel hinunter ins Kircheninnere, wo das Bodenmosaik den Blick ansaugt, kehren sich die Verhältnisse um: oben und unten werden in ihrer Spiegelbildlichkeit evident.
 
Wie jede gelungene ortsspezifische Kunst bildet Leitners Intervention mit dem vorgefundenen Raum eine selbstverständliche Einheit, um ihn zugleich neu zu definieren. Als Fischer die Höhe des Langhauses mit der Kuppel verdoppelte, hatte er wahrscheinlich in erster Linie ihre Wirkung für das Stadtbild im Auge. Ihr innerer Raum war in Bezug auf die Erfahrung hingegen nur virtuell vorhanden. Leitners "TonHöhe" aktualisiert diesen virtuellen Raum, was seine Unverfügbarkeit aber nicht aufhebt sondern nur um so stärker ins Bewußtsein ruft.
 
1 Giulio Carlo Argan, L'Europa delle Capitali 1600-1700, Genf 1967, S. 106.
2 Paraphrase nach Hans Sedlmayr, Kollegienkirche Salzburg (Christliche Kunststätten Österreichs Nr. 120), Salzburg 1986, S. 4ff.
3 Vgl. Thomas Zaunschirm, Ansichten vom Aufbau der Salzburger Universitätskirche, in: Festschrift Franz Fuhrmann, Klagenfurt 1983, S. 105ff.
4 Zentralisierende Bodenmosaike sollen nicht selten eine solche "axis mundi" andeuten; Michelangelo entwarf z.B. in Anspielung auf den delphischen Omphalos-Mythos eine sternförmige Bodengliederung für das Kapitol, was den Anspruch Roms demonstrieren sollte, Hauptstadt und Nabel der Welt zu sein; vgl. James S Ackerman, The Architecture of Michelangelo, London 1961, S. 71 ff.


Aus der Katalogzeitung zu "TonHöhe" , Salzburger Fischer von Erlach-Gesellschaft, Salzburg, 1996